Von Axel Heinze (Koordination der Flurnamendeutung in Ostfriesland axel.heinze@gmx.de), Arbeitsgruppe der Ostfriesischen Landschaft Aurich. Die Ostfriesische Landschaft erfüllt regionale Aufgaben insbesondere auf den Gebieten der Kultur, Wissenschaft und Bildung in und für Ostfriesland.
Die Flurnamensammlung der Ostfriesischen Landschaft
Der frühere Leiter des Katasteramtes Aurich Heinrich Schuhmacher hat in langjähriger Arbeit die Flurnamen Ostfrieslands erfasst und im Jahr 1984 publiziert. Anfang der 90er Jahre wurde diese Sammlung von Hans-Heinrich Schröder digitalisiert und konnte damit im Internet nutzbar gemacht werden. (https://flurnamen-ostfriesland.de/) Allerdings sind Flurnamen heute oft nicht mehr nachvollziehbar, da sie in aller Regel unter ganz anderen Bedingungen bei der Kultivierung der Flächen vergeben wurden. Deshalb hat die Ostfriesische Landschaft eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, um diese Namen zu deuten und damit ihre historische Information für den Bürger verfügbar zu machen. Nach meiner Pensionierung als Geographie-Lehrer im Jahr 2013 habe ich mich dieser Aufgabe gewidmet mit dem Ziel, alle Flurnamen des alten Amtes Esens zu deuten. Ich wollte mir damit eine Quelle für die Landschaftsgeschichte meiner Heimatregion erschließen. Im Rahmen dieser Arbeit, gemeinsam mit anderen, sind mir zahlreiche Probleme dieser Sammlung deutlich geworden, die eine weitere Bearbeitung der Sammlung sinnvoll erscheinen lassen.
Die Urform der Flurnamen
In aller Regel wurden Flurnamen bei der Kultivierung der Landschaft festgelegt. Sie können deshalb durchaus bis ins frühe Mittelalter zurückreichen. Daher müssen wir davon ausgehen, dass die Urform der Namen in aller Regel Plattdeutsch war, aber auch andere sprachliche Hintergründe wie Friesisch, Niederländisch, Französisch oder selbst Polnisch sind denkbar. Dies werde ich an Beispielen belegen. Die vorliegende Erfassung der Flurnamen weist überwiegend hochdeutsche Namen aus, da sie aus jüngeren schriftlichen Quellen und Karten stammen. Diese schriftlichen Quellen wurden in aller Regel von Menschen erstellt, die des Plattdeutschen nicht mächtig waren. Ihre Übersetzungen der plattdeutschen oder anderssprachigen Begriffe sind oft nicht ganz sachgemäß. Daher sollte bei der Deutung der Flurnamen möglichst die Urfassung dargestellt werden. Dies ist auch nicht trivial, da es keine eindeutige plattdeutsche Rechtschreibung gab und regionale Unterschiede innerhalb Ostfrieslands zu beobachten sind. Deutlich wird dies an dem Flächenmaß „Diemat“, das in den Varianten Demth, Diemath, Diemt, Dimt, Dimmt erscheint und dabei noch unterschiedliche Verbreitungsmuster aufweist.
Verballhornungen
Flurnamen wurden über einen langen Zeitraum nur mündlich vom Besitzer auf den Erben oder vom Verkäufer an den Käufer weitergegeben, wobei die beteiligten Personen oft sogar noch schreibunkundig waren. Daher muss in hohem Maße von einer Verballhornung der Begriffe ausgegangen werden. Manchmal sind es nur Verkürzungen der Namen, die sich in den verschiedenen Quellen beobachten lassen. Genauso lassen sich aber auch Vokalverschiebungen beobachten. Es können aber ebenfalls auch Abschreibefehler der handschriftlichen Quellen vorliegen, zum Beispiel bei den Listen der Regemort-Erfassung aus dem Jahr 1670. Dieser Aspekt sollte bei der Deutung beachtet werden. Ein Beispiel ist die „Rotzmense“ in der Gemarkung Bensersiel. Der Name wurde von den Anliegern dieses Weges schon lange in Frage gestellt. Ein Vergleich mit umliegenden Flurnamen und der lokalen Situation machte deutlich, dass es sich um einen Weg zum Deich handelt, der zu einer Flachsrotte führte. Die sinnvolle Benennung wäre also „Rottmense“, während der Name „Rotzmense“ ja eher unangenehme Assoziationen weckt.
Ein weiteres Beispiel ist der „Hünenschloot“ in der Gemarkung Moorweg und darüber hinaus. Er führte sogar im frühen 20.Jahrhundert zu einer Legendenbildung über irgendwelche Riesen, die es hier aber sicher nicht gegeben hat. Die Bedeutung erschließt über „hunt“ als Anschluß an eine germanische Wurzel huun-, hun-, hon-, Sumpf, Moder, zu der u.a. niederländisch huin = Fäulnis, Dreck gehört. (nach Scheuermann, Ulrich, Flurnamenforschung. Bausteine zur Heimat- und Regionalgeschichte, Melle 1995, S. 128) Ein Schloot ist in jedem Fall ein künstlicher Wasserlauf. Es handelt sich also um einen Wasserlauf, der zur Entwässerung von Moorkolonisationsgebieten angelegt wurde.
Abschreibefehler
Vor der gedruckten Fassung der Sammlung wurden die Namen handschriftlich in DGK5-Karten erfasst. Auch bei der Digitalisierung dieser Quellen sind offenbar einzelne Lesefehler unterlaufen. Da die handschriftlichen Karten allerdings den Deutern digital zur Verfügung gestellt werden, kann jeder Deuter diese Fehlerquelle selbst überprüfen und gegebenenfalls korrigieren. Die gleiche Problematik ergibt sich aber auch bei der digitalen Lokalisierung der Namen. Dazu werden dem Namen Koordinaten zugeordnet und hier reicht ein Tippfehler, um den Namen an ganz anderer Stelle in der Karte erscheinen zu lassen. Solche Fehler können aber vom Katasteramt korrigiert werden, wenn sie bei der Deutung beobachtet werden..
Unterschiedliche sprachliche Hintergründe
Ostfriesland war im Mittelalter friesischer Sprachbereich, die Sprache wurde dann durch das Plattdeutsche abgelöst. Dabei sind sicherlich einzelne Begriffe weiter genutzt worden. Ein Beispiel dafür ist der Begriff „swette“. Er lässt sich noch bis ins 19. Jahrhundert in Dokumenten nachweisen, ist aber heute in seiner Bedeutung völlig unbekannt. Im Frysk Wurdboek (H.S. Buwalda u.a., Boalsert 1971, S. 497) erscheint er mit der Übersetzung „Grenze“. Auch in der plattdeutschen Sprache wird er noch genannt (Schiller, Karl/Lübben, August: Mittelniederdeutsches Wörterbuch, Bremen 1875-1880, Bd. 4, S. 495), dürfte aber eindeutig friesischen Ursprungs sein, da es keinen Bezug zu hochdeutschen Begriffen gibt. In Flurnamen erscheint er mehrfach als Andeutung einer Grenzlage.
Ein weiteres Beispiel ist der Flurname „Kirflak“ in der Gemarkung Juist. „Kirr“ ist ein plattdeutscher Name der Trauerseeschwalbe (http://fvnj.eu/wp-content/uploads/2016/08/Ludwigs_2009_Plattdeutsche_Namen.pdf), der vermutlich ebenfalls friesischen Hintergrund hat, vor allem bedeutet „flak“ im Plattdeutschen wie im Friesischen „Fläche“ (H.S. Buwalda u.a., Boalsert 1971, S. 97, Schiller, Karl/Lübben, August, Mittelniederdeutsches Wörterbuch, Bremen 1875-1880, Bd. 5, S. 265). Zudem haben sich friesische Sprachreste auf den Inseln länger gehalten als auf dem Festland, die Ursache dafür dürfte die isolierte Lage gewesen sein. Es handelt sich also bei dieser Fläche um eine frühere Trauerseeschwalbenkolonie. Die Besonderheit dieser Fläche ist der zweite Namen „Kirchfläche“. Es handelt sich um einen typischen Übersetzungsfehler eines ursprünglichen Flurnamens in die hochdeutsche Sprache durch die Kartografen.
Bezüge zur niederländischen Sprache sind vor allem im Bereich der Fehnkolonien zu finden, weil diese Moorerschließungsmethode in den Niederlanden entwickelt und dann hier nach Deutschland übertragen wurde. „Veen“ ist der niederländische Begriff für (Hoch-)Moor, der aber in ganz Nordeuropa verbreitet ist. Davon ist der Begriff „Fehn“ entlehnt. Insbesondere in den Fehnkolonien erscheint oft der Begriff „Wieke“ oder „Inwieke“ für die Seitenkanäle in den Fehnkolonien. „Wieke“ ist im Niederländischen ein Begriff für „Flügel“ und wird dort genauso für die Seitenkanäle der Fehnkolonien genutzt wie auch für die Flügel einer Windmühle. Auch der Flurname „Verlaat“ ist eindeutig der niederländische Name für „Schleuse“, erscheint aber in Ostfriesland auch außerhalb der Fehnkolonien.
Sehr zahlreich ist in den ostfriesischen Flurnamen der französische Begriff „Chaussee“ zu finden für die geradlinigen ortsverbindenden Straßen. Diese Straßen wurden überwiegend in der hannoveraner Zeit in der Mitte des 19. Jahrhunderts unabhängig vom vorhandenen Wegenetz errichtet. Vermutlich ging aber ihre Planung auf die französische Verwaltung von 1806 bis 1812 zurück, da sie nach den napoleonischen Straßenbauvorschriften konstruiert wurden. Wenn der Name dann in Lagebezeichnungen von Flurnamen erscheint, sind in diesen Fällen Rückschlüsse auf das Alter der Flurnamen möglich.
Sonderbar ist der Flurnamenbestandteil „Zielke“, der mehrfach in Kolonisationsbereichen des 19. Jahrhunderts erscheint. „Zielke“ ist in Deutschland als Familienname weit verbreitet, widersetzt sich aber jeder sinnvollen Deutung in der deutschen Sprache. Allerdings ist der Familienname „Zielke“ in Polen viel stärker verbreitet, so dass hier an einen polnischen Ursprung des Wortes gedacht werden muss. Die Namen erscheinen immer in feuchten Mulden, die kaum sinnvoll landwirtschaftlich nutzbar waren. Die „Kleine Zielke“ in der Gemarkung Brill zum Beispiel ist eine Pingo-Ruine, deren landwirtschaftliche Nutzung kaum möglich war. Dieser Bereich wurde Ende des 19. Jahrhunderts durch Kolonisation erschlossen. Eine Hypothese für die Deutung dieses Namens besteht darin, das polnische Gastarbeiter aus der Textilindustrie in Delmenhorst in der zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Frau aus unserer Region dort kennengelernt haben und hier dann gemeinsam ein Kolonat gegründet haben. Dies war ohne großen Kostenaufwand möglich. Dabei mussten sie natürlich auch ihre kultivierten Flächen benennen und der polnische Name „Zielke“ weist auf „Unland“ hin.
Technische Fehler
Bei der Übertragung der Flurnamen von den DGK5-Karten ins Internet ist mehrfach ein Problem aufgetreten. Wenn ein Flurstück durch die Kartengrenze geteilt wurde, haben die Erfasser auf beiden Karten den gleichen Namen eingetragen. Bei der Übertragung ins Internet wurden dann beide Namen in das Flurstück eingetragen, so dass eine völlig überflüssige Verdoppelung in einem Flurstück entstand. Das kann durch Löschung bei der Freigabe korrigiert werden, muss aber jedesmal vom Deuter angemerkt werden.
Fazit
Mit diesem Text möchte ich auf einige Probleme dieser Sammlung hinweisen, die korrigiert werden könnten. Damit sind allerdings die ehrenamtlichen Deuter überfordert. Hier sind fach- und sachkundige Mitarbeiter gesucht, die sich vielleicht im Rahmen einer studentischen Arbeit mit einzelnen Aspekten auseinandersetzen können. Eine Finanzierungsmöglichkeit solcher Projekte muss im Einzelfall geprüft werden. Auch für Facharbeiten in der Oberstufe der Gymnasien sind hier Möglichkeiten der regionalen Forschung geboten, die sich über die Fächer Sprache, Geschichte und Geographie einer Region erstrecken und damit fachübergreifend sind.