Rez.: Luzerner Namenbuch 3

Luzerner Namenbuch 3: Habsburg. Die Orts- und Flurnamen des östlichen Amtes Luzern. 1. Teil A–M, 2. Teil N–Z. Hrsg. und bearb. von Erika Waser, in Zusammenarbeit mit Peter Mulle, unter Mitarbeit von Alex Baumgartner, Heidi Blaser und Irene Rettig. Mitarbeit an der Sammlung: Philippe Barth und Ingrid Strassmann. Altdorf: Gisler Druck AG 2014, 1260 S. – ISBN 978-3-906130-87-3, Preis: SFR 149,00 (CH).

Rezensiert von Albrecht Greule, Regensburg

Der dritte Band des Luzerner Namenbuchs (LuNB) erfasst und deutet die Namen der zehn Gemeinden im Kanton Luzern, die noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts den an den Vierwaldstättersee angrenzenden Gerichtsbezirk Habsburg bildeten (jetzt Amt Luzern). Im Zentrum der beiden Bände steht der aus 3.370 Namenartikeln bestehende umfängliche Deutungsteil, in dem – wie in dem vorausgehenden ersten und zweiten Band des Luzerner Namenbuchs – auf eine breite historische Dokumentation und bei den noch gebräuchlichen Namen auf eine umfassende Erhebung bei den namenkundigen Einheimischen geachtet wurde.

Insgesamt ist der dritte Band des LuNB übersichtlich gegliedert: die namenlexikographische Dokumentation („Die Orts- und Flurnamen“, S. 47–1078) ist eingebettet in die (1.) Einleitung, die nebst der Geographie und Mundartbeschreibung des (hochalemannischen) Untersuchungsgebiets sowie der Methodik der Namensammlung und ihrer lexikographischen Darbietung einen geschichtlichen Überblick von Anton Gössi (S. 13–27) enthält; der Überblick reicht nicht wesentlich vor das Spätmittelalter zurück. Auf das (2.) Namenbuch im engeren Sinn folgen (3.) ein Bildteil, (4.) Verzeichnisse (darunter die Kapitel „Fachausdrücke“ und „Grammatik“) und schließlich (5.) mehrere Register.

Der „eilige Leser“ wird in diesem Buch umgehend wissen wollen, was der bekannte Dynastie-Name Habsburg mit dem Kanton Luzern zu tun hat. Er wird schnell auf den Seiten 357–359 des LuNB fündig und erfährt Folgendes: „Alte Burgstelle und Schloss am See […] offiziell Neuhabsburg.“ Der von Landgraf Rudolf I. von Habsburg-Laufenburg um 1244 in Meggen (LU) erbauten Burg verlieh er den Namen der bei Brugg im Aargau gelegenen Stammburg des Geschlechts Habsburg – mit anderen Worten: es handelt sich um eine Namenübertragung. Zur Etymologie des Burgennamens Habsburg (< *Habechs-burg) erfährt man, dass das Bestimmungswort identisch ist mit der Vogelbezeichnung nhd. Habicht, mhd. habech, ahd. habuch und das Benennungsmotiv bei der ritterlichen Jagd zu suchen ist.

Das „Namenbuch“ ist in Namenartikel gegliedert, die folgende Struktur aufweisen: 1. Stichwort in blauem Balken – 2. Etymologie mit Literatur – 3. mehrere Unterartikel. Zum Beispiel: Stichwort Adligenswil mit drei Subartikeln: a) Dorf- und Gemeindename Adligenswil, b) Adligenswiler Hochwald+, c) Adligenswiler Wald+ (unter dem vierten Lemma Adligenswiler Pfrundwald wird auf Pfrundwald verwiesen) (S. 58–60). Wie in diesem Beispiel haben die Unterartikel wiederum eine eigene Struktur, beginnend mit einem Lemma, das mit dem Stichwort identisch ist oder aus einer mit einer Ableitung des Stichworts gebildeten Wortgruppe besteht. Die mit Kreuz markierten Namen in den Unterartikeln sind nicht mehr aktuell; sie machen aber gut zwei Drittel aller im LuNB 3 erfassten Namen aus! Im Fall von Adligenswil werden unter (2) Etymologie ausführlich die morphologische Struktur des Namens (mit Hinweis auf die im Anhang beigegebene Grammatik) und die an den Belegen und der Mundartform ablesbare Lautentwicklung erläutert, was zu einer (so nicht rekonstruierten) Grundform ahd. *Adalgōzes wīlāri mit der ursprünglichen Bedeutung ‚Hofsiedlung eines Siedlers mit dem Namen Adalgos‘ führt. (Hier soll nur auf das generelle Problem hingewiesen werden, dass Adalgos nicht der Siedler selbst gewesen sein muss; es könnte sich auch um den Adligen handeln, der siedeln ließ.) Ob der „Abwehr“ einer unsinnigen Deutung des Namens Adligenswil von 1944 ein ganzer Absatz gewidmet werden sollte, kann bezweifelt werden.

Die Struktur der Unterartikel soll genauer am Artikel (3a) Adligenswil verfolgt werden. Hinter dem Lemma stehen an erster Stelle die sorgfältig erhobenen und transkribierten Mundartformen (in diesem Fall zwei, nämlich die lemmatisierte Vollform und eine Kurzform Adlige). An zweiter Stelle: Gemeindesigle, Nummer und Koordinaten, an dritter: Beschreibung der Örtlichkeit („Dorf und Gemeinde in erhöhter Lage am Südostabhang des Hügelzuges zwischen dem Hombrig und dem Dotteberg“). Größtes Gewicht misst Erika Waser mit Recht der Dokumentation der historischen Belegformen zu (vgl. S. 31–37), die sich im Falle von Adligenswil (an dritter Stelle) auf drei Spalten erstreckt und mit dem Beleg 1243 Adelgeswiler beginnt und 1984 Adligenswil endet. 80 Prozent aller für das LuNB 3 exzerpierten Quellen lagern im Staatsarchiv Luzern, insgesamt wurden 21.900 Datensätze mit historischen Belegen erfasst. Vor das Jahr 1200 reichen aber nur 12 Belege zurück, darunter ist – nicht verwunderlich – der älteste der Flussname Reuss (840 Riusa) (zur Reuss s. auch unten). Zu den am frühesten überlieferten Namen zählen die Gemeindenamen Ebikon (893 K. 15. Jh. Abinchova, Grundform *Āb-inghofen), Udligenswil (1036 K. 13./14. Jh. in Vodelgoswilare, Grundform *Uodelgōzeswīlare), Meggen (um 1150, K. um 1400 Meggen, Grundform mhd. *(a)m eggen) und Meierskappel (um 1150, K. um 1400 de Cappell).

Neben der soliden Erfassung und Deutung der Orts- und Flurnamen, wie sie bei der schweizerischen Namenforschung seit jeher gerühmt und von Erika Waser und Peter Mulle für Luzern in Perfektion ausgeübt wird, muss man die Leser darauf aufmerksam machen, dass das LuNB 3 bei weitem nicht nur Ortsnamen aller Art erfasst und deutet, sondern auch Ruf- und besonders Familiennamen. Auch deswegen lohnt es sich für jeden Namenforscher und jede Namenforscherin das LuNB 3, dessen Namenschatz in mehreren Registern gut erschließbar ist, bei der Hand zu haben.

Hier ein Überblick über die im LuNB 3 ausgebreitete Namenlandschaft aufgrund einiger charakteristischer Namen und darin verbauter Reliktwörter, die an wenigen Stellen vom Rezensenten ergänzt wurden:

Familien-/Rufnamen: Bili/Beili = Bienlein ‚ein lebhafter Mensch‘ (S. 137f.); Plüwler/Bleuler, Berufsname für eine Person, die ein Stampfwerk (mhd. bliuwel) betreibt‘ (S. 149); Bründler, 1580 Hans Brünler, Wohnstättenname für eine Person, die an einer Quelle/einem Brunnen wohnt‘ (S. 174f.); Kamenzing/Camenzind, 1345 Johan Kambenzinde, Kompositum aus mhd. kambe ‚Kamm‘ und zind ‚Zacken, Zinke‘, Übername für den Hersteller von kammartigen Gegenständen, z. B. für einen Rechenmacher (S. 472); Lüthi/Lüthy, gekürzt aus dem Rufnamen Lütolf und mit /-i/ suffigiert (S. 595); Rasi, Kurzform von Erasmus (S. 730); Rölli, abgeleitet von schweizerdeutsch rollen ‚etwas rollen, sich herumtreiben‘, Übername für einen Menschen, der sich lärmend herumtreibt, in der Innerschweiz auch Name einer Fastnachtsfigur (S. 765); Schlumpf, zu schweizerdeutsch Schlumpf m. ‚(großer) Bissen‘, Übername für eine beleibte Person (S. 841f.).

Wohngebietsnamen: Buggenacher (seit dem 15. Jh. bezeugt) enthält als Bestimmungswort schweizerdeutsch Buck, Bugg ‚runde Bodenerhebung, Hügel‘ (S. 195–197). – Hofnamen: Bethlehem (mit Anspielung auf die Bibel) mehrfach Name für eine Örtlichkeit, die man als kümmerlich oder ärmlich empfand (S. 134f.); Schache, mehrfach, entspricht schweizerdeutsch Schache(n) m. ‚kleines Gehölz, flaches mit Gehölz bestandenes Flussufer‘ (S. 815–822); Stalde f. entspricht schweizerdeutsch Stalde(n) m. ‚ansteigende Stelle im Gelände, Abhang, ansteigender Weg‘ (S. 904–906). – Liegenschaftsnamen: Burnig, älter Bodmig, Budming, Budmig (< ahd. bodem + -ing) für einen großen Geländeboden (S. 202–204); Ei f., n. ‚am Wasser gelegenes Land, Insel‘ (S. 236–238); Fusterli ‚kleines, hölzernes, ovales, mit einem Schlagdeckel versehenes, an der Hand getragenes Geschirr für Milch und Rahm‘, übertragen auf die Sennereien (S. 285f.); schweizerdeutsch Risi f. ‚Bergschlipf, durch Rutschung entstandene steile Halde von lockerem Gestein oder brüchiger Erde, Holzrutschbahn‘, Bestimmungswort im Liegenschaftsnamen Risibode (S. 760); Rüeggiswil, 2. Hälfte 14. Jh. Rúggeswile, mit dem Genitiv des PN. Rüggi, Kurzform zu ahd. *Ruodgīs, als Bestimmungswort (S. 787–789).

Flurnamen: Elsi (< *Els-ahi, Ableitung von Else ‚Erle‘?) bezeichnet ein Gebiet mit Acker- und Weideland in der Flussebene der Reuss (S. 244–248); Flue/Flüe f. ‚Felsabsturz, Felswand, Fels im Gegensatz zu bewachsener Erde, einzelner großer Fels, Felsbruchstück‘, diminuiert Flüeli (S. 270–273); Chieme m., bewaldete Halbinsel am Zugersee, < 1278/80 Chienboum, mhd. kienboum ‚Kiefer‘ (S. 487–489); Müsli > Mösli, Diminutiv zu Moss, ahd. muslīn (S. 640–643); Rämsi ‚Bärlauch‘, Bestimmungswort in Rämsibach+ und Rämsitürli+ (ein Marchpunkt) (S. 729); Risch n., Riedland im Talboden an der Ron, Variante zu mhd. rüsch, rusch ‚Binse‘ (S.7 59f.); Sonderi f., abgeleitet von mhd. sunder ‚abgesondert‘, besonders für Weiden und Wald (S. 879–882); Tobel n. ,bewaldetes Bachtobel des Götzetalbachs‘, mhd. tobel m. ‚Bachtal‘, ursprünglich im schwäbisch-bairischen Raum verbreitetes Geländewort, das von der Ostschweiz ins Amt Luzern vordrang (S. 956).

Relikt- bzw. Lehnwörter in Namen: Balm f. ‚Felshöhle, stark überhängender Fels, der Schutz und Obdach bietet, Felswand‘ (S. 108–110); schweizerdeutsch Gulm f. ‚oberste Bergkuppe, besonders von kegelförmiger oder runder Gestalt‘ im Flurnamen Golm m. (< lat. culmen) (S. 320); Gumme/Gume ‚talartige Eintiefung, Hang- oder Bergmulde, Engpass zwischen Felsen‘ (< gall. cumba, urkelt. *kumbā ‚Tal‘) (S. 350–352); schweizerdeutsch Gütsch m. ‚kleiner, rundlicher Hügel, Gipfel, Bergvorsprung‘ (< spätlat. cucutium ‚Haube, Kapuze‘) als Flurname Gütsch+ (S. 354f.); Chienze f., Güter am Abhang des Rooterbergs, 1500 in kinzechon, identisch mit dem drei Mal in Südwestdeutschland vorkommenden Flussnamen Kinzig, vermutlich < kelt. *K(w)entikā (vgl. Anm. 1) (S. 489–492); Perlen/Bärle, 1324 ze Berlon, kleines Fabrikdorf in der Flussebene der Reuss, Ableitung mit l-Suffix von ahd. bēra f. ‚beutel-, sackartiges Fischernetz, Netz, Reuse‘, entlehnt aus lat. pera ‚Beutel‘ (S. 708–712); schweizerdeutsch Rīfe(n) f. ‚steiles Ufer, auch Bord, Abhang‘ im Flurnamen Riffenmatt+ am linken Ufer der Reuss, entlehnt aus franz. rive, ital. riva ‚Ufer‘ (S. 756).

Flussnamen: Lutzerbach, 1566 lucerbach, enthält im Bestimmungswort den Namen der Stadt Luzern, alt Lutzeren (S. 597f.) (die Annahme eines „vordeutschen Gewässernamens *Lucera“ überzeugt nicht); Reuss, viertgrößter Fluss der Schweiz, die Diskussion des Namens kann entgegen LuNB 3, S. 738, als beendet betrachtet werden: Es handelt sich um einen voreinzelsprachlich-indogermanischen Namen mit dem cisalpinen gallischen (?) Etymon *rusia ‚Gletscher‘ (Anm. 2); Ron f., 1588 Rohnbach (1470 die a), entstanden aus mhd. *zer ā(he)n ‚an der Ahe‘, mit mundartlicher Hebung und Aphärese der Präposition ze: /rān/ > /rōn/ (S. 765–767); Stampach+ < *Standbach mit schweizerdeutsch Stand m. ‚das (Still-)Stehen, Standort, Platz‘ als Bestimmungswort (S. 911).

Wie der Überblick auch zeigen soll, sind nicht nur die historischen Belege mit größter Sorgfalt in das Buch aufgenommen worden; Gleiches gilt für die umsichtigen, mit reicher Literatur bestückten Namenserklärungen und etymologischen Deutungen, ganz zu schweigen von dem Grammatikregelwerk und dem Glossar der sprachwissenschaftlichen Fachausdrücke, wodurch den Lesern das Verstehen der Etymologien erleichtert wird. Makellos sind der Druck der beiden Bände und die Wiedergabe zahlreicher Bilder und Faksimilia. Die Leser, Nutzer und Nutznießer des LuNB 3 stehen mit großem Respekt vor der wissenschaftlichen und organisatorischen Leistung, die bislang drei Luzerner Namenbücher hervorgebracht hat. Angesichts der Perfektion wagt der Rezensent kaum den Wunsch zu äußern, dass Erika Waser und ihrem Team die Kraft und das Geld nicht ausgehen mögen, damit sie die Namen der fehlenden Luzerner Ämter Willisau, Sursee, Hochdorf und Pilatus in der bewährten Weise noch bearbeiten können.

Anmerkungen

(1) Vgl. A. Greule, Deutsches Gewässernamenbuch, Berlin-Boston 2014, S. 270.

(2) Vgl. A. Greule, Deutsches Gewässernamenbuch, Berlin-Boston 2014, S. 434f.

Empfohlene Zitierweise
Albrecht Greule: [Rezension zu] Luzerner Namenbuch 3, in: Onomastikblog [6.07.2020], URL: https://www.onomastikblog.de/artikel/ni-rezensionen/rez-LuNB3

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