Siegfried C. Schoppe, Christian M. Schoppe und Stephan A. Schoppe: Geographische Namen im Hl. Römischen Reich Deutscher Nation (Philologia: Sprachwissenschaftliche Forschungsergebnisse 254), Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2021, 624 S. – ISBN 978-3-339-12262-9, Preis: EUR 149,80 (DE).
Rezensiert von Harald Bichlmeier, Jena/Halle (Saale)
Bekanntlich kann kein Buch so schlecht sein, dass man nicht irgendetwas daraus lernen könnte. Im vorliegenden Falle hat freilich das, was man lernen kann, nichts mit dem konkreten Inhalt zu tun, sondern mit der Methodik, die angewandt wurde. Man kann von diesem Buch lernen, dass man es genau so nicht machen sollte und auch so nicht machen kann, wenn man auch nur ansatzweise ein Ergebnis erzielen möchte, das irgendeinen ernstzunehmenden wissenschaftlichen Gehalt aufweisen soll.
Die Verfasser des Werks können offenbar weder im Bereich der Sprachwissenschaft noch im Bereich der Namenkunde auf auch nur ansatzweise vertiefte Kenntnisse zurückgreifen: Es werden die Erkenntnisse von 200 Jahren Indogermanistik, germanistischer Sprachwissenschaft und Onomastik ebenso konsequent ausgeblendet wie elementarste Vorgehensweisen aus diesen Bereichen.
Wem so etwas gefällt, kann das natürlich machen, darf aber nicht damit rechnen, seitens derer, die in ihren Forschungen tatsächlich die anerkannten Methoden der historisch(-vergleichend)en Sprachwissenschaft oder der Namenkunde anwenden, ernst genommen zu werden.
Interessant ist immerhin, dass sich im (für ein Werk mit diesem Umfang und potentiellen Anspruch recht übersichtlichen) Literaturverzeichnis (S. 559–567) neben Arbeiten Bahlows auch die Udolphs finden, aber solche Vennemanns fehlen – allerdings hätten letztere, um sie goutieren zu können, doch ordentlicher sprachwissenschaftlicher Kenntnisse bedurft, die aber hier (s.o.) fehlen. Der Leser wird somit freilich auch der Lektüre von Darbietungen abwegiger vaskonischer Etymologien enthoben.
Dass im Literaturverzeichnis das LIV² und Untermanns Wörterbuch des Oskischen und Umbrischen (Untermann 2000) angeführt werden, hat wohl eher den Charakter von ‚cameo-appearences‘, ernstlich rezipiert wurden diese Standardwerke der modernen Indogermanistik jedenfalls von den Autoren nicht (und auch für das ebenfalls angeführte IEW ist das weitgehend auszuschließen, sofern eine Wurzel nicht gerade ‚fließen‘, ‚rinnen‘, ‚feucht‘ o. ä. bedeutet). Vielmehr hat das Buch (auch wenn die Autoren regelmäßig das Wort ‚indogermanisch‘ gebrauchen) überhaupt nichts mit moderner Indogermanistik zu tun, ja nicht einmal mit der überholten Form der Indogermanistik à la Pokorny, wie sie seit etlichen Jahrzehnten unverändert in der Namenkunde weit verbreitet ist. Allenfalls kann man hier von alternativer Indogermanistik sprechen. Zudem wurden für das Buch praktisch keine Namenbücher rezipiert (eine der wenigen Ausnahmen ist Niemeyer 2012), geschweige denn, dass die Namenbücher auch nur für den deutschen Sprachraum vollständig erfasst (oder gar ausgewertet) worden wären.
Insgesamt arbeitet das Werk offenbar vornehmlich auf der Basis der Arbeiten Bahlows, die bekanntlich nach allgemeiner Ansicht wertlos sind: Mehrfach wird gesagt (z. B. S. 23), dass selbst von den Ortsnamen 90% letztlich auf Gewässerbezeichnungen zurückgehen, die gern auch mal bis zu 10.000 Jahre zurückreichen (sollen). Schon die Einleitung („1 Forschungsstand und Forschungsansatz“; S. 9–32) bietet eine an so vielen Stellen korrekturbedürftige (wiederum alternative) Darstellung der (sprachlichen) Vorgeschichte Europas/Deutschlands, dass man nicht weiß, wo man anfangen soll.
Hier zeigt sich auch recht rasch die wissenschaftstheoretisch nur als falsch zu bezeichnende Vorgehensweise der Autoren: Sie ‚wissen‘ bereits, dass praktisch alle deutschen/mitteleuropäischen Ortsnamen vorgermanisch sind und auf Gewässerbezeichnungen zurückgehen. Daraufhin werden passende „Wurzeln“ und „Kernsilben“ zusammengesucht (aus indogermanistischer Sicht kann man oft auch sagen: erfunden), die das dann auch bestätigen. D. h., eine Hypothese/Theorie, die eigentlich erst aus der sorgfältigen Analyse des Materials hervorgehen sollte, wird bereits als Ergebnis vorausgesetzt, das Material wird dann zur Untermauerung zurechtgeschnitzt. Es ist dies ein ‚methodisches‘ Vorgehen, das schlicht als unwissenschaftlich bezeichnet werden muss. Eigentlich könnte damit die Besprechung enden, doch soll das Ganze noch etwas illustriert werden.
In dem vorgelegten Katalog mit den Namenanalysen („3 Orte, Gewässer, Landmarken und Flurnamen in alphabetischer Folge“; S. 51–558) werden dann konsequenterweise auch fast alle Namen, die nach traditioneller Ansicht eine Erklärung auf der Grundlage von Personennamen im Kompositionsvorderglied oder als Ableitungsbasis erfordern, auf Grundlage von Gewässerbezeichnungen oder anderer urindogermanischer Wurzeln erklärt, die in diesen semantischen Bereich passen.
Da passt es auch ins Bild, dass (u. a. in Kapitel „2 Alphabetische Ordnung typischer ON- und GN-Endungen“; S. 33–49) natürlich die Namen auf -ingen, -ungen letztlich als Komposita mit einer „Kernsilbe“ (vulgo: ‚Wurzel‘?) *ng ‚Sumpf‘ aufgefasst werden (S. 39). Schön ist auch die Erklärung von „-grün: aus *grind, -grint für Morast“ (S. 38). Und ganz witzig wird es, wenn man etwa S. 239 nach einer Liste mit Namen wie Kaltenhausen, Kaldenbach etc. liest: „von finn-ugr. *kal-tio = Quelle; die Kalt(en)-ON haben also nichts mit Kälte zu tun; außer im Sinne der Kaltwasserquelle; idg. kwel = strömen; K[ern-]S[ilbe] *k (a) l/t für Quellsumpf“.
Da kaum ein indogermanistisches Etymologikon bzw. keines ordentlich rezipiert wurde, kann man sich darauf verlassen, dass Anknüpfungen von (deutschen) Namen an Sprachmaterial aus den anderen indogermanischen Sprachzweigen allenfalls zufällig richtig sind. Man vgl. als Beispiel etwa S. 227 u. a. zu den Namen Hilpensberg, Hilversum, Hilwartshausen (und andernorts) die Verbindung mit „lat. silva = Wald; gr. hyle/υλη“: Das lateinische und das griechische Wort haben freilich nichts miteinander zu tun, Schreibung und Transkription des griechischen Worts sind (hier wie auch sonst grundsätzlich bei griechischen Wörtern im Buch üblich) eher peinlich; korrekt: gr. ὕλη /’hȳlē/ (dazu jetzt aktuell Bichlmeier in EWAhd 8 s.v. sol und ausführlich Bichlmeier in Bichlmeier/Zimmer 2022: 225f.). Lat. silva hingegen hat keine gesicherte Etymologie und kann auch praktisch in keiner Weise mit urgr. *(h)uhlā (oder uridg. *su̯ōl-eh2- > urgr. *(h)u̯ūlā [falls diese Entwicklung überhaupt möglich ist; vgl. die zitierte Textstelle]) verbunden werden (vgl. LatEW 2: 537f.; DÉLL 626; EDLIL 564). Auszugehen ist von einer Vorform urital. *si/e/ul(V)u̯ā o. ä. Allenfalls die unwahrscheinlichere Vorform des griechischen Worts (uridg. *su̯ōl-eh2- > urgr. *(h)u̯ūlā) ließe sich phonologisch mit dem lateinischen verbinden – jedoch nur über die Wurzel *uridg. *su̯el-, die ‚schwelen, brennen‘ bedeutete.
Beispiele wie die vorigen lassen sich beliebig vermehren. Letztlich ist das Buch eine Ansammlung von Dutzenden (wohl sogar Hunderten) abwegiger Analysen von Namenbestandteilen, schließlich im Hauptteil eine Ansammlung Hunderter – nach recht allgemeiner Ansicht – falscher Namenerklärungen.
Die Analyse der Namen erfolgt praktisch durchweg auf Grundlage der modernen (Orts-)Namenform, historische Belege werden nicht angeführt, mögen allenfalls vereinzelt im Hintergrund Analysen bzw. Namenszuordnungen beeinflusst haben. Folglich sind alle Erklärungen von solchen Namen quasi automatisch falsch, in deren Entwicklung es zu einer Verunklarung der Ursprungsform gekommen ist, sei es durch lautliche Veränderungen, morphologische Verschiebungen oder das Wirken der Volks- bzw. Gelehrtenetymologie. Es wird hier das ortsnamenkundliche Prinzip völlig ignoriert, dass Etymologien zu Ortsnamen aufgrund gründlich erstellter Belegreihen und dann besonders auch ausgehend von den ältesten Belegen erstellt werden sollten. Und sollte eine Zuordnung zu einem deutschen Etymon einmal stimmen, kann man sich darauf verlassen, dass spätestens die Darstellung der vordeutschen Zusammenhänge nicht zutreffend ist.
In derselben (und aufgrund der Sprachbarriere vielleicht sogar in noch stärkerer) Weise gilt das auch etwa für tschechische (und andere slawische) Namen, die auf dem Territorium des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation ja bekanntlich keine Seltenheit sind: Dort sind die Autoren selbst zum korrekten Abschreiben der modernen Namenformen nicht in der Lage: Man liest etwa S. 236 nach einer Liste mit Namen wie Hradec, Hradecká, Hradecno (recte: Hradečno), Hrádek, Hradisté (recte: Hradiště), Hranice, Hroznetin (recte: Hroznětín) etc. (vgl. zu den etymologisch zu drei verschiedenen Etyma gehörigen Namen Profous 1947–1960, 1: 737ff., 750ff., 763f., 782): „ursprünglich deutsche Orte in Böhmen (C); KS *h (-) r für Nässe, Feuchtigkeit; idg. *her(s) = fließen“ – also nichts mit Lexemen für ‚Stadt‘, ‚Grenze‘ und dem Personennamen tschech. Hrozňata – und reibt sich die Augen, in die angesichts von soviel Nässe die Tränen steigen möchten. Zu erwähnen, dass tschechische Sekundärliteratur nicht rezipiert wurde, erübrigt sich da fast.
Es sei nicht verschwiegen, dass die Autoren bisweilen auch Richtiges abgeschrieben haben. Da indes praktisch nie Zitat-/Belegstellen angegeben werden, erfährt man freilich nicht, wo. Auch dies für eine wissenschaftliche Arbeit ein Unding.
Angesichts der gerade angeführten Schwächen in allen Bereichen, die nichtdeutsches Sprachmaterial betreffen, überrascht die Selbstsicherheit mit der die Autoren am Beginn von Kapitel „5 Fallstudie: Die Orts- und Flurnamen des Landkreises Steinfurt“ (S. 569–621) den Autoren eines Ortsnamenbuchs und eines kurzen Artikels (Korsmeier 2020 bzw. Spannhoff 2020 [letzterer von den Autoren schlampig bibliographiert]) vorwerfen, dass ihre Werke die „ON-Phantasien der Heimatforscher Spannhoff (Tecklenburger Land) und Korsmeier (Münsterland)“ (im Original Fettdruck des Zitats) seien, denn
„Heimatforscher wie Spannhoff und Korsmeier beschränken ihre Forschungsmethode als Germanisten zwangsläufig 1. auf die Interpretation von Urkunden mit all ihren Fälschungen und Schreibfehlern, die … nur bis … vor 1200 Jahren zurückreichen und 2. auf die Semantik der deutschen Sprachentwicklung; und sie arbeiten 3. mit der impliziten Prämisse, dass alle ON germanisch sind, obwohl zahlreiche ON auf viel älteren prähistorischen GN beruhen bzw. von solchen abstammen, …“
Und weiter verzichten sie
„1. auf alte Sprachen (Griechisch, Latein, Indogermanisch) und Fremdsprachen (Englisch, Französisch, Slawisch sowie 2. auf die Komparatistik als vergleichende ON-Forschung über den Steinfurter Raum hinaus im gesamten deutschsprachigen ON-Bereich …“
Mit anderen Worten, die Autoren werfen den Kollegen vor, dass sie zunächst einmal arbeiten, wie man es eben zu tun hat: Grundlage sind Urkundenbelege, und alles ab 800 ist eben erst einmal deutsch/altsächsisch. Dass irgendetwas davon auf ältere Sprachstufen zurückgeht, ist in jedem Einzelfall zu beweisen – aber durch die Kling-Klang-Etymologien der Autoren auf Grundlage teils frei erfundener indogermanischer Wurzeln jedenfalls nicht ansatzweise bewiesen, auch wenn sie von vornherein davon überzeugt sind, dass es so gewesen sein muss. Eine Meinung/Überzeugung ist nun einmal kein Beweis. Und zudem ignorieren die Autoren folglich auch den Grundsatz, dass man bei der Erklärung von Namen rückwärts zu gehen hat und erst dann eine Erklärung auf einer früheren Sprachstufe zu suchen braucht bzw. suchen muss, wenn eine solche auf einer jüngeren nicht erfolgen kann.
Was im o. a. Zitat „Semantik der deutschen Sprachentwicklung“ bedeuten soll, kann man nur raten (vielleicht „innerdeutscher Bedeutungswandel“?), die Formulierung weist jedenfalls auf eher mangelhafte Vorkenntnisse im Bereich der historischen Sprachwissenschaft.
Und man kann sicher oft genug auch historisch arbeitenden Germanisten mangelnde Kompetenz in alten/fremden Sprachen und zumal im Bereich der Indogermanistik vorwerfen, aber angesichts der o. a. nachweislichen Unfähigkeit im Umgang der Autoren mit Fremdsprachen allein schon beim Abschreiben griechischer und tschechischer Wort- und Namenformen (s. o.), wird man ihnen bei diesem Vorwurf schon eine gehörige Portion Selbstironie unterstellen müssen.
Weiter wird (merke: 90% der Ortsnamen gehen auf Gewässernamen zurück, s. o.) auf S. 569 jenen Germanisten vorgehalten, dass sie „mit ihren verzweifelten ON-Deutungsversuchen erstens bei den scheinbar enthaltenen Tier- und Pflanzennamen“ ebenso scheitern wie mit den „frei erfundenen Personennamen, die es aber in ganz Westfalen nicht gibt“. Dass immer wieder zu nicht (zumindest nicht in der Region, bisweilen auch überhaupt nicht) bezeugten Personennamen zur Erklärung von Ortsnamen gegriffen wird, ist in der Tat ein immer wieder begegnendes Problem, aber immerhin werden dann in der Regel Vorschläge unterbreitet, die nicht völlig aus der Luft gegriffen zu sein scheinen und andernorts belegtes Wortmaterial enthalten. Jedenfalls ist all das seriöser als die völlig abstruse Zusammenstellung S. 570f., wo dann „die älteste bekannte idg. Wassersilbe *br-e-“ (die freilich in der Indogermanistik völlig unbekannt ist …) angeführt und zu „*br = Wasser, Au(e) am Bachufer, Sumpf“ Wörter wie Barg, Bauer, braun, Berg, Bär, Bier, Brühl, Brücke, lat. imber etc. etc. gestellt werden. Ein Kommentar erübrigt sich wohl.
Das Kapitel (und damit das Buch) schließt mit einem zweiseitigen (S. 620f.) Fazit in Fettdruck. Hierin wird noch einmal deutlich die Erklärung von Ortsnamen auf Grundlage (erfundener) Personennamen und (nicht erfundener) Tiernamen als falsch eingestuft und der Verzicht auf weitere sprachliche Zusammenhänge bemängelt. Eingangs heißt es (S. 620):
„Die historische Methode, von Udolph auf PN richtig und sehr erfolgreich angewandt, wird hier von Korsmeier/Spannhoff am völlig ungeeigneten Objekt der ON angewandt und führt so zu völlig sinnentstellenden Deutungen; denn die dt. PN sind in historischer Zeit entstanden und urkundlich zu erfassen; die dt. ON sind zum größten Teil in prähistorischer Zeit entstanden und somit historisch unzugänglich. Hier hilft nur das Bohren dicker Bretter der zahlreichen idg. und präidg. Sprachschichten und ihrer Stammwurzeln und Kernsilben.“
Hier sieht man deutlich das Grundproblem des gesamten Buches: Es ist ein einziger Zirkelschluss: Denn dass die „dt. ON … zum größten Teil in prähistorischer Zeit entstanden“ seien, wird ja nur behauptet, doch nirgends bewiesen. Und um das dicke Brett „der zahlreichen idg. und präidg. Sprachschichten“ zu bohren, müsste man freilich auch ein wenig von Indogermanistik verstehen.
Und es geht weiter: „Die angebotenen Deutungen der ON von Spannhoff/Korsmeier, meistens im Konjunktiv, lesen sich zum Teil wie eine Persiflage der ON-Forschung; dabei sind die zahlreichen Stilblüten offensichtlich ernst gemeint (Zicklein, krumme Bäche, junge Espen, Eber, Bären, Enten, Ulmen, Eschen, steile und weniger steile Abhänge, eingehegte Areale, schwankender Boden). – Sancta Simplicitas!“ (S. 621)
Letztlich wird hier also gesagt (ohne die Vorwürfe/Beispiele nun einzeln zu prüfen, was man bei Gelegenheit noch tun müsste), dass eigentlich alles, was nicht in Namenbüchern von Bahlow steht, Unfug ist. Da kann auch Rezensent nur ausrufen: „Sancta Simplicitas!“
Und weiter am Schluss (S. 621):
„Die Beschränkung auf nur ein Erkenntnisverfahren, obwohl hier Methodenpluralismus (anything goes) und fachübergreifende Forschung angebracht wären, verengt den wissenschaftlichen Fortschritt.
Insgesamt eine vergebene Chance, gefördert mit viel Opportunismus und öffentlichen Geldern des WLV – sowie der Reputation der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen.“
Unklar bleibt, ob die o. a. grundsätzliche und in den vorangegangenen Absätzen konkret sich manifestierende Ausblendung von bzw. Ignoranz gegenüber und/oder Ablehnung von zwei Jahrhunderten Forschungstradition und -erkenntnissen aus völliger Unkenntnis derselben zu erklären ist (worauf das praktisch vollständige Fehlen der aus dieser Tradition erwachsenen Literatur im Literaturverzeichnis weisen dürfte) und die Autoren folglich meinen, hier völlig Neues leisten zu sollen bzw. zu können, oder ob das Buch einen bewussten Gegenentwurf zu dieser darstellen soll (und damit letztlich den Spuren Vennemanns folgt). Sollte es ein Gegenentwurf sein, ist er jedenfalls gescheitert – ebenso wie Bahlows Ideen glücklicherweise längst als gescheitert gelten dürfen. Methoden müssen etwas taugen, damit „Methodenpluralismus“ zu etwas führen kann – die hier angewandten Methoden taugen nichts. Und das Prinzip des „anything goes“ hat wohl auch noch nie zu etwas Sinnvollem geführt.
Klar ist hingegen, dass aufgrund der fehlenden zeitlichen Tiefe der Analysen (also aufgrund des Fehlens von Belegreihen) und des Fehlens sogar der Lokalisierung der einzelnen Namen (wo etwa liegt Kaldenbach?) sogar eine sinnvolle Weiterarbeit auf Grundlage der vorgelegten Materialsammlung praktisch unmöglich ist. Man sieht sich hinsichtlich der Darstellung und der Methodik schon fast in vorwissenschaftliche Zeiten zurückversetzt. Nicht zuletzt aufgrund der method(olog)ischen Schwäche steht das Buch außerhalb jedweder Tradition/Schule/Disziplin und wird auch keine begründen. Es bleibt zu hoffen, dass angesichts des Preises des Buches seine Verbreitung eine geringe bleiben möge und nicht etwa Heimatforscher und andere interessierte (sprachwissenschaftliche) Laien in den gebotenen Deutungsvorschlägen versumpfen – oder am Ende auch noch das im Buch gebotene Vorgehen für Indogermanistik halten. Es sei vorsichtshalber noch einmal klar ausgesprochen: Mit Indogermanistik (oder mit ordentlicher Namenkunde) hat das alles nichts zu tun!
Dass ein solches Buch erscheint, lässt auch die Reihe, in der das geschieht – zumal wenn das Werk im Gegensatz zum Namen der Reihe („Philologia: Sprachwissenschaftliche Forschungsergebnisse“) ja gar keine sprachwissenschaftlichen Forschungsergebnisse enthält – in etwas zweifelhaftem Licht erscheinen und es spricht auch kaum für einen Verlag, ein solches Werk in sein Programm aufzunehmen.
Zum Schluss sei die eingangs gemachte Bemerkung wiederholt: Das einzige, wozu dieses Buch taugt, ist zu lernen, wie man es nicht machen soll(te). Eine intensivere Beschäftigung mit diesem Buch sei keinem empfohlen, der sich ernstlich und ernsthaft mit Toponymen in Mitteleuropa auseinanderzusetzen gedenkt.
Literatur
– Bichlmeier, Harald / Zimmer, Stefan (2022): Die keltischen Flussnamen im deutschsprachigen Raum. Ein keltologisch-indogermanistischer Kommentar zum Deutschen Gewässernamenbuch (= Münchener Studien zur Sprachwissenschaft, Beiheft 32, Neue Folge), Dettelbach: Röll-Verlag.
– DÉLG = Chantraine, Pierre (2009): Dictionnaire étymologique de la langue grecque. Histoire des mots. Nouvelle édition, Paris: Klincksieck.
– DÉLL = Ernout, Alfred / Meillet, Antoine (2001): Dictionnaire étymologique de la langue latine: histoire des mots. Retirage de la 4. éd. augm. d’additions et de corr. par Jacques André, Paris: Klincksieck.
– EDG = Beekes, Robert with the assistance of Lucien van Beek (2010): Etymological Dictionary of Greek (= Leiden Indo-European Etymological Dictionary Series 10), Leiden–Boston: Brill.
– EDLIL = de Vaan, Michiel (2008): Etymological Dictionary of Latin and the other Italic Languages (= Leiden Indo-European Etymological Dictionary Series 7) Leiden–Boston: Brill.
– EWAhd = Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen. Band VIII: ske- – t-. Hg. von Rosemarie Lühr, erarbeitet von Dagmar S. Wodtko (Arbeitsstellenleitung), Harald Bichlmeier / Maria Kozianka / Roland Schuhmann. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2023 [in Bearbeitung].
– GEW = Frisk, Hjalmar (1960–1972): Griechisches etymologisches Wörterbuch. 3 Bde. (= Indogermanische Bibliothek, 2. Reihe: Wörterbücher), Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag.
– IEW = Pokorny, Julius (1959): Indogermanisches Etymologisches Wörterbuch. 1. Bd., Bern–München: Francke.
– Korsmeier, Claudia Maria (2020) [²2021]: Die Ortsnamen des Kreises Steinfurt (= Westfälisches Ortsnamenbuch 13), Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte.
– LatEW = Walde, Alois / Hoffmann, Johann Baptist (1930–1954): Lateinisches Etymologisches Wörterbuch. 3 Bde. (= Indogermanische Bibliothek: Abteilung 1, Sammlung indogermanischer Lehr- und Handbücher, Reihe 2: Wörterbücher), Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag.
– LIV² = Rix, Helmut et al. (2001): Lexikon der indogermanischen Verben. Die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen. Zweite, verb. u. erw. Aufl., Wiesbaden: Reichert.
– Niemeyer, Manfred (Hg.) (2012): Deutsches Ortsnamenbuch, Berlin–Boston: de Gruyter.
– Profous, Antonín (1947–1960): Místní jména v Čechách. Jejich vznik, původní význam a změny. Díl I.: A–H. Praha: Česká Akademie věd a umění 1947.
– Spannhoff, Christof (2020): Von Bergen und Bächen. Die Ortsnamen Riesenbeck mit den Bauerschaften Bergeshövede, Birgte, Lage und Hörstel, in: Reinhildis. Miterbin Christi. Der Grabstein und seine Geschichte in der St. Kalixtus-Kirche Riesenbeck. Hg. vom Heimatverein Riesenbeck e.V., Riesenbeck, S. 132–139.
– Untermann, Jürgen (2000): Wörterbuch des Oskisch-Umbrischen. Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag.
Empfohlene Zitierweise
Harald Bichlmeier: [Rezension zu] Geographische Namen im HRRdN, Hamburg 2021, in: Onomastikblog [25.01.2022], URL: http://www.onomastikblog.de/artikel/ni-rezensionen/rez-geographische-namen-hrrdn/
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