Neue Deutungen alter Namen

 Prof. Dr. Karlheinz Hengst

Was bedeutet urkundlich (1071) sinedebuch in Ostthüringen?

Erzbischof Anno von Köln hat 1071 eine Urkunde für das Benediktinerkloster Saalfeld ausgefertigt. Darin wird eine Beschreibung der Orlagaugrenze gegeben. Das macht die Urkunde für die Forschung interessant. Allerdings ist die Urkunde von 1071 nur in späterer Kopie aus dem 14./15. Jahrhundert überliefert. Eine Textstelle enthält eine Namensform, die bisher gelesen wurde als smedebach.[1] Zugeordnet wurde diese Form einem Ort mit dem ON Schmiedebach.[2]  Eine genauere und vergleichende Untersuchung anhand einer Kopie der Urkundenabschrift hat jedoch inzwischen ergeben, dass die Form nicht smedebach, sondern als sinedebuch zu lesen ist.Diese Form auf -buch steht in der Urkunde nicht allein. Am Ende der vorangehenden Zeile ist zu lesen inde keldebuch.[3] Die beiden Namen folgen also in der Grenzbeschreibung direktaufeinander. 

Bei keldebuch istdasGrenzmerkmal offensichtlich benannt nach einem Buchenbestand bzw. sogar nur nach einer auffälligen einzelnen Buche[4] in kalter Lage. Der Name zeigt im Erstelement das geläufige  Adjektivabstraktum Kälte, ahd. kalti (8. Jh.), mhd. kelte.[5] Die Schreibung <kelde> in der Abschrift ist vielleicht mit binnendeutscher Konsonantenschwächung zu erklären. 

Es kann mit ziemlicher Sicherheit davon ausgegangen werden, dass es sich bei beiden Namen um tatsächliche Grenzpunktangaben handelt. Dafür spricht bei sinedebuch auchfolgendes: Seit dem 15. Jahrhundert ist der Malbaum Schnäbelichte Buche nachgewiesen. Später hieß die Stelle Hohe Lach. An der Stelle trafen drei Gemarkungen zusammen, die früher zu drei verschiedenen Herrschaften gehörten.[6]

Der undurchsichtig erscheinende Name sinedebuch hat nach Mitteilung des Orlagau-Kenners Hans Schmigalla bereits 1962 eine Erklärung erfahren durch Paul Sömmering. Dieser ging von einer alten Form *sin-hethi ‚große Heide‘ aus. Gemäß überlieferter Schreibung lässt sich diese Deutung in gewisser Weise bestätigen und eine wohl ursprünglich altsächsische (as.) Form sin-hētha[7] ‚große Heide‘ ansetzen, hier am ehesten i. S. von großes unbebautes bzw. Wildland.[8] Somit ist die Grenzmarkierung in diesem Fall gegeben mit sinedebuch inderBedeutung’Buchean großem unbebautem Land‘. Der Germanist und Sprachforscher Michael Prinz hat schon vor einem Jahrzehnt in einem umfangreichen Beitrag eine ganze Reihe solcher Bildungen mit sin- aus ahd. und as. Zeit nachgewiesen, so z. B. as. sin-līf ‚ewiges Leben‘ und auch das hier gut vergleichbare  as. sin-weldi ‚großer Wald‘.[9] Offen bleibt, ob es sich um eine in Ostthüringen so geprägte Form handeln kann[10] oder die Namensform am Ausstellungsort der Urkunde as. beeinflusst worden ist.

Die Graphie sinede- ist nicht recht durchschaubar. Es kann sich 1071 um Niederschrift nach Gehör gehandelt haben, es kann  aber auch eine Vorlage gegeben haben, die möglicherweise vom Schreiber verändert wurde. Außerdem ist mit Veränderung bei der Abschrift der Urkunde im 14./15. Jahrhundert zu rechnen. Jedenfalls treten in der Abschrift einige Namenformen auf, die noch einer gründlichen Analyse durch einen kompetenten Forscher mit den unbedingt nötigen Ortskenntnissen  erfordern. Unklar bleibt daher zunächst auch, ob in die Form sinedebuch evtl.nur as. Schreibweise eingeflossen ist.

Als gesichert kann aber bereits gelten: Es lässt sich die bisherige Annahme, dass der spätere Ort Schmiedebach den ursprünglichen Flurnamen sinedebuch  in der oben genannten Urkunde fortführe, nicht aufrecht erhalten. Die historische Überlieferung zum ON Schmiedebach bei Lehesten, 1414 Smidebach,[11] spricht ebenfalls gegen eine solche Zuordnung.  Allein die scheinbare lautliche Nähe darf hier durch die lokale Heimatforschung nicht überbewertet werden. Auch eine eventuelle sekundäre semantische Verankerung des im 12./13. Jahrhundert noch bekannten Namens für den alten Grenzpunkt als Fortführung in dem ON Schmiedebach  zu vermuten, ist somit abwegig. .

Eine Verwechslung von bach und buch  bei der Niederschrift von Urkunde oder Abschrift scheidet sowohl für keldebuch als auch für direkt folgendes sinedebuch definitiv aus. Auch die von mir noch zitierte Angabe mit der Lesart inde smedebach in meinem Beitrag „Zur Geschichte des Namens Cordobang in Thüringen“[12] ist infolgedessen nicht mehr gültig und wird hiermit ausdrücklich korrigiert.


[1]Der volle Wortlaut der Urkunde von 1071 in lateinischer Fassung mit deutscher Übersetzung findet sich im Anhang bei Wolfgang Kahl, Ersterwähnung Thüringer Städte und Dörfer. Ein Handbuch. 6. Auflage, Verlag Rockstuhl, Bad Langensalza 2016, 1120 S., ab S. 984. Vgl. außerdem auch Wolfgang Kahl, Der Orlagau im Jahre 1071, in: Aus der Vergangenheit von Arnstadt und Umgebung. Ein heimatkundliches Lesebuch. 18. Heft. Arnstadt 2009, S. 12-28. In dieser vom Thüringer Geschichtsverein Arnstadt e. V. herausgegebenen   Publikation ist die Urkunde ebenfalls im lat. Wortlaut und mit Übersetzung enthalten.  

[2]Vgl. ebenda.

[3]In einer neueren Edition ist neben Keldebuch auch in der hier interessierenden Form das Zweitglied korrigiert als  Smedebuch  angeführt, vgl. Wolfgang Kahl, Die Grafen von Käfernburg und Schwarzburg 722-1712.Erfurt 2017, S. 150.

[4] Zu Keldebuch teilte Herr Prof. Dr. Hans Schmigalla (Rudolstadt) freundlicherweise noch  folgende vergleichbare Namen mit: Noch heute gibt es in der Feldmark von Ernsee, einem hoch gelegenen Stadtteil von Gera, einen großen alten und völlig  freistehenden Baum: die Kalte Eiche. Außerdem erinnert in Unterweißbach ein Flurname Kalte Buche an einen derartigen Baum, ähnlich in Remptendorf eine Kalte Fichte.

[5]Vgl. Ludwig Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Berlin 1989, S. 778.

[6]Freundliche Mitteilung von Herrn Prof. Dr. Hans Schmigalla (Rudolstadt) vom 7. Oktober 2019. Von ihm wurde ganz  nachdrücklich  die oben angeführte neue Lesart des Namens als einzig möglich betont. 

[7]Vgl. Ahd. WB SAW Leipzig, Bd. 4, Sp. 800.

[8]Zu sin vgl. Ernst Förstemann, Ortsnamen II, Sp. 732 mit der Bedeutungsangabe ‚groß, dauernd‘, vgl. mhd. sinhol  ‚ganz hohl‘ und nhd. Sintflut.

[9]Michael Prinz, Ahd. Simpliccha, in: Ludwig Husty, Michael M. Rind, Karl Schmotz (Hg.), Zwischen Münchshöfen und Windberg. Gedenkschrift für Karl Böhm. Rahden/Westf. 2009, S. 487. Für den Hinweis auf diesen Beitrag danke ich Herrn Professor Prinz in Uppsala.

[10]Vgl. zu den südlichen Vertretern des Niederdeutschen die Akademieabhandlung des Germanisten Karl Bischoff, Zur Geschichte des Niederdeutschen südlich der ik/ich-Linie zwischen Harz und Saale“, Berlin 1957, 47 S. Auf Abb. 1 wird die südliche Verbreitung in ON-Belegen angezeigt bis zu einer Linie von Erfurt über Weimar bis Altenburg für die Zeit vom 10. bis 13. Jh. 

[11]So bei Heinz Rosenkranz, Ortsnamen des Bezirkes Gera. Greiz 1982, S. 20.

[12]Karlheinz Hengst, Zur Geschichte des Namens Cordobang in Thüringen, in: Zeitschrift für Thüringische Geschichte 73 (2019), S. 199-205.