Neuerscheinung: Namenforschung und Namenberatung. Dietlind KREMER und Gabriele RODRÍGUEZ zum 60. Geburtstag. Hg. von Karlheinz HENGST (=Onomastica Lipsiensia, Leipziger Untersuchungen zur Namenforschung, Band 14). Leipzig: Universitätsverlag 2021, 659 S. – ISBN 978-3-96023-376-3, Preis: EUR 49 (DE).
Bericht von Albrecht Greule, Regensburg
Die von Dieter Kremer sorgfältig redigierte Festschrift versammelt Beiträge, die von nahezu 40 Autorinnen und Autoren zu Ehren der beiden über die Grenzen Sachsens und Deutschlands hinaus bekannten Namenforscherinnen und Namenberaterinnen, Dietlind Kremer und Gabriele Rodríguez, verfasst wurden. Der Band übt schon deshalb eine besondere Attraktivität aus, weil er gleich auf der Einbandseite beide Jubilarinnen, lächelnd bei der Arbeit, zeigt. Den Porträts in Gestalt von Bildern entsprechen an erster Stelle des Buchinhalts die Laudatio mit Publikationsliste von Dietlind Kremer und die Laudatio mit Publikations- und Vortragsliste von Gabriele Rodríguez. Beide Forscherinnen arbeiten gemeinsam in der 1989/90 eingerichteten „Namenberatungsstelle“ im Kontext des Namenkundlichen Zentrums der Universität Leipzig, dessen wechselvolle 70jährige Geschichte in einer Chronik (S.27-45) aufgearbeitet wird, vgl. dazu auch den Beitrag von Karlheinz Hengst (S.309-311).
Diesem laudierenden und dokumentierenden Teil stehen 34 Forschungsbeiträge in deutscher, spanischer, italienischer und französischer Sprache gegenüber, die in ihrer thematischen und geographischen Vielfalt die Verdienste der Jubilarinnen um die Namenforschung und Namenberatung reflektieren und das Buch zu einem Kompendium der gegenwärtigen onomastischen Forschungsinteressen in Europa und darüber hinaus machen. Da eine kritische Auseinandersetzung weder mit einzelnen noch mit allen Beiträgen angemessen ist, beschränke ich mich darauf, die alphabetisch nach den Namen der Verfasserinnen und Verfasser angeordneten Beiträge thematisch grob zu gliedern und dort, wo der Titel nicht eindeutig ist, einen kurzen inhaltlichen Hinweis zu geben. Die Gliederung folgt dem Titel der Festschrift und listet zuerst die Beiträge zur Personen- und Ortsnamenforschung auf, dann solche zur Namenberatung und schließlich solche zu darüberhinausgehenden onomastischen Forschungsbereichen.
1. Beiträge zur Namenforschung
a. Personennamen-Forschung
Barbara Aehnlich, Manana Bakradze, Miranda Gobiani, Dana Schluchtman, Jakob Wünsch (Jena / Kutaissi, Georgien): Kulturelle Spezifik der deutschen und georgischen Rufnamen (S.47-69) Kontrastive Benennungsmotivik.
Maria Giovanna Arcamone (Florenz): Überlegungen zu den Onymen Guido, Tegrimus und Bibensanguinem (S.71-75).
Lidia Becker (Hannover): Noterella antroponomastica oder Namengebung ist politisch: Der Vorname Yásnaya / Ясная in Mexiko (S.101-105). Der Vorname Yásna der mexikanischen Sprachaktivistin Yásnaya Elena Aguilar Gil ist russisch Jasnaja ‚die Helle, Klare‘.
Ana Boullón (Santiago de Compostela): La polemica onomástica en Galicia. La ciudadanía y los nombres proprios. („Der Namenstreit in Galizien. Staatszugehörigkeit und Eigennamen“, S.107-128). Behandelt werden die zu galicischen Vor- und Familiennamen aufgeworfenen Fragen.
Bremer, Donatella (Pisa): Dorlamm, der verhinderte Dichter (S.129-139). Zum Pseudonym des Dichters Robert Gernhardt (1937-2006).
Dieter Geuenich (Freiburg): Die Datenbank der „Namen von Personen und Personengruppen des Mittelalters“ (NPPM) – ein neuer Personennamen-Förstemann? (S.161-200). Die Datenbank NPPM steht ab sofort als Online-Personennamenbuch des Mittelalters zur Verfügung.
Edgar Hoffmann+ (Wien): Deanthroponymische Chrematonyme im Russischen zwischen Ist- und Wunschzustand (S.361-380). In die Namen von Organisationen, Waren, Dienstleistungen und Ereignissen in der Wirtschaft überführte russische Personennamen.
Claudia Maria Korsmeier (Münster): Krax, Jacobsfeuerborn, Annalohstrothrodemann & Co. Hofnamen im ostwestfälischen Verl und ihre Entstehung (S.395-406). Auf Hofnamen basierende und um Personennamen ergänzte, ostwestfälische Familiennamen.
Lutz Kuntzsch (Wiesbaden): Von Leipzig über Kiew bis Omsk und zurück über Moskau nach Wiesbaden – Vornamen als treue Begleiter und Gegenstand von Hobby, Lehre und Sprachberatung (S.471-481).
Yolanda Guillermina López Franco (Mexico): Aspects méthologiques de l’étude lexicologique et socioanthroponymique des prénoms (S.499-515). Erste Orientierung zur wissenschaftlichen Erforschung der gängigen Vornamen in Mexiko.
Domniţa Tomescu (Constanţa): La mobilité de la prénomination dans l’onomastique roumaine actuelle (S.569-583). Mobilität der gegenwärtigen Vornamengebung im heutigen Rumänien.
Roman Trützsch (Zschorlau): Der (erzgebirgische) Familienname LEUOTH (S.585-603). Versuch der Deutung des Namens Leuoth als germanisches Determinativkompositum.
Natalija Vasil’eva (Moskau): Russische Stadtbewohnernamen als Objekt der Sprach- und Namenberatung (S.615-624). Struktur und Funktionen der im Russischen durch morphologische Variabilität gekennzeichneten „Katoikonyme“ (Bewohnernamen).
Nataliya Vyrsta (Ternopil): Die ukrainischen Familiennamen auf -uk (-juk), -čuk (dargestellt am Beispiel der Region Pokutien) (S.625-639). Produktivstes Wortbildungsmodell der Familiennamen in der Region Pokutien (Westukraine).
b. Ortsnamenforschung
Diana Ascher (Hamburg): Überlegungen zu einigen älteren Stadtteil-, Gewässer-, Flur- und Straßennamen Hamburgs (S.77-99).
Wolfgang Haubrichs (Saarbrücken): *Malastrûtus, Mastershausen und die romanischen Sprachinseln bei Kastelaun (Hundsrück) und an der Mosel (S.253-277). Romanisch-germanische Kontaktbeziehungen an der Mosel und in umliegenden Mittelgebirgslandschaften.
Rosemarie Gläser+ (Dresden): Namenforschung in der Erinnerungskultur jüdischen Lebens in der Stadt Dresden: Straßennamen – Denkzeichen – Stolpersteine (S.201-228). Straßennamen als Existenzform des Erinnerns an jüdische Mitbürger/innen.
Reitzenstein, Wolf-Armin Frhr.v.: Bayerns Berge im Münchner Merkur (S.529-537). Auflistung der in der Tageszeitung Münchner Merkur seit 2019 gedeuteten Bergnamen.
2. Beiträge zu Namenberatung (Namen-Popularisierung)
Enzo Caffarelli (Rom): Consulenza, competenza, documentazione e didattica onomastica in Italia. („Namenberatung, onomastische Kompetenz, Namendokumentation und Namendidaktik in Italien“, S.141-149). Über die Schwierigkeiten in Italien über Namen zu forschen.
Albrecht Greule (Regensburg): Namenberatung als Sprachkultur (S.229-241). Würdigung der wissenschaftlichen Namenberatung als sprachkulturelle Leistung.
Milan Harvalík (Bratislava): Popularisierung der Namenforschung in Medien – Erfahrungen und Bemerkungen (243-252). Popularisierung der onomastischen Forschung in Tschechien durch Bücher, Radio- und Fernsehsendungen.
Volkmar Hellfritzsch (Stollberg): Namenforschung und ihre Popularisierung in bekannten Zeitschriften. Dargestellt an der sächsischen Regional Zeitschrift „Erzgebirgische Heimatblätter“ (S.293-308).
Karlheinz Hengst (Leipzig/Chemnitz): Ein Plädoyer für Namenforschung – Namenauskunft -Namenberatung. Notwendigkeiten und Erwartungen von Wissenschaft und Öffentlichkeit, dargestellt an Beispielen aus Toponymie und Anthroponymie (S.309-328).
Rosa und Volker Kohlheim (Bayreuth): Onomastische Pressearbeit. Ein Jahr lang Familiennamendeutung für die Bayerische Rundschau, Kulmbach (S.381-393).
Dieter Kremer (Trier/Leipzig): Namenforschung und Publikum (S.407-469). Impressionistische und persönliche Bemerkungen zu Namenforschung und Forschungsvermittlung in Themenbereichen, die der Vermittlung dienlich sein können.
Frauke Rüdebusch (Wiesbaden): Die Vornamenarbeit der Gesellschaft für deutsche Sprache (S.539-556). Vorstellung der Vornamenberatung der GfdS.
Jürgen Udolph (Göttingen): Die Kartierung von Familiennamen. Erinnerungen an die ersten Schritte in Leipzig (S.605-614).
Christian Zschieschang (Cottbus); Onomastischer Wissenstransfer am Sorbischen Institut. Zwei neue Projekte (S.641-656). Digitale Dokumentation der sorbischen Orts- und Familiennamen.
3. Beiträge zu weiteren onomastischen Forschungsbereichen (Namenpolitik, Namenkritik, Namenlenkung)
Peter Ernst (Wien): Namen als sprachliche Zweifelsfälle (S.151-159). Ein theoretischer Blick auf unterschiedliche Namenverwendungen und ihre Formen.
Botolv Helleland (Oslo): Dreißig Jahre norwegisches Ortsnamengesetz. Herausforderungen für Namenforschung, Politik und Gesellschaft. Aus dem Norwegischen übersetzt von Gero Lietz. Kritisches Resümee der norwegischen staatlichen Ortsnamenpolitik.
Sandra Herling (Siegen): Laienlinguistische Namenkritik im Kontext der Black Lives Matter-Bewegung (S.329-360). Von Laien im digitalen Raum geführte Diskussionen zu vermeintlich rassistischen Toponymen und Ergonymen.
Antje Lobin (Mainz): Nomination im urbanen Raum zwischen Sprachpolitik und Internationalisierung. Beobachtungen zum schweizerischen Kanton Genf (S.483-497). Sprachpolitik und Spracheinstellungen in der Schweiz, Umbenennung eines Stadtfestes.
Saskia Luther (Magdeburg): Pharmakonyme und Wirtschaftsinteressen (S.517-528). Thematisiert die Spezifik der Namen von Arznei- und Heilmitteln unter dem Aspekt der Struktur und der Rezipienten.
Anikó Szilagyi-Kósa (Budapest): Die Gestaltung des ungarischen Vornamenmaterials durch Forschung und Öffentlichkeit (S.557-568). Durch Regelungen eingeschränkte Wahl der Vergabe sowohl genuin ungarischer als auch deutschungarischer Vornamen; Rolle der Vornamenkommission, Namenberatung und Namenratgeber.
Aus der Tour d’horizont wird nur andeutungsweise deutlich, welch großes namenkundliches Forschungspotential zu Ehren von Dietlind Kremer und Gabriele Rodríguez in der Festschrift versammelt wurde und welch vielfältige Erkenntnisse und Forschungsanregungen sich für die Leserinnen und Leser sich hieraus gewinnen lassen.